Weil Kirschlorbeer Diskussionen verursacht: Rottweil verteidigt Neupflanzung, will künftig aber keinen mehr

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„Invasive Art.“ Und „ökologisch alles andere als wertvoll“. Mit diesen Worten kritisieren Bürger in Rottweil die Pflanzung von Kirschlorbeersträuchern am neuen Parkhaus-Süd. Der dafür Verantwortliche, der Fachbereichsleiter Bauen & Stadtentwicklung Rudolf Mager, reagiert auf zweierlei Art und Weise. Einerseits erklärt er die vorgenommene Pflanzung als unbedenklich und bittet um eine differenzierte Sicht. Andererseits sagt er: „Um solche Diskussionen zu vermeiden, werden wir künftig auf die Pflanzung von Kirschlorbeer ganz verzichten.“ Rumms.

„Der Kirschlorbeer und seine oft übersehenen Talente.“ Unter diesem Titel geht ein Fachartikel detailliert auf die Vorzüge der Lorbeerkirsche ein, die auf den schönen lateinischen Namen Prunus laurocerasus hört. Einer dieser Vorzüge habe in der medialen Diskussion über den Kirschlorbeer nämlich zu wenig Beachtung gefunden und ist dies, extrem knapp zusammengefasst: Insekten mögen ihn, allen Behauptungen zum Trotz. So kommt Marius Tegethoff, Stellvertretender Geschäftsführer Bund deutscher Baumschulen und Vorsitzender des Fachbeirats der Deutschen Genbank Obst, zu dem Schluss: „Im städtischen Grün und in privaten Gärten stellte die in Berlin beobachtete frühe Blüte im April bis Mai ein willkommenes, da zu der Zeit seltenes, Nahrungsangebot für Insekten dar.“ Mit seinem handy will der Forscher „das muntere Treiben“ und die „außergewöhnlich hohe Vielfalt von Insekten“ an diesen Sträuchern beobachtet haben. Er empfiehlt, dranzubleiben, weiter nachzuforschen. Denn der „Forschungsbedarf auch und insbesondere in Bezug auf die biodiversitätsfördernden Eigenschaften vom Kirschlorbeer ist weiterhin groß.“

Rudolf Mager von der Stadt Rottweil ist diese differenzierte Sicht auf die Pflanze wichtig. Der Fachbereichsleiter Bauen & Stadtentwicklung sieht, dass für die Pflanze oft nur das Schlagwort „invasive Art“ verwendet werde. So werde der Eindruck geweckt, „dass dem Kirschlorbeer, der zum Beispiel natürlich in Bulgarien und Rumänien vorkommt, jegliche Daseinsberechtigung bei innerstädtischen Pflanzungen abgesprochen werden muss.“ Vielmehr gehe es der Rottweiler Stadtverwaltung darum, bei ihren Pflanzkonzepten, zuletzt im Oberen Kameralamtsgarten,  bei den Spielplätzen in Hausen und Göllsdorf oder im Nägelesgraben, eine ausgewogene, attraktive und ökologische Mischung zu wählen (ohne Prunus laurocerasus, siehe unten).

Diese Sorgfalt in der Auswahl komme auch beim neuen Parkhaus zum Einsatz. „Hier wurden niedrig wachsende, immergrüne Kirschlorbeer in die Mischung hineingenommen, um gerade auch im Herbst und Winter innerstädtisch einen grünen Aspekt in der Fläche zu haben“, sagt Mager. Man verwende diese Art jedoch sehr zurückhaltend, nicht als Hecke oder als Sichtschutz, sondern im Hintergrund der Pflanzfläche. In den davor aufgezählten Pflanzkonzepten findet sich etwa gar kein Kirschlorbeer. Daneben werden laut Mager beim Pflanzkonzept Parkhaus/Körnerstraße auch folgende Pflanzenarten verwendet: Bäume (Lederhülsenbaum, Tulpenbaum, Rotahorn, ….), Sträucher (Felsenbirne, wolliger Schneeball, Liguster, Berberitze, Hartriegel,…), Stauden (Frauenmantel, Storchschnabel, Funkie, Herbstanemone, Segge, …), Kletterpflanzen (Wilder Wein, …).

„Wir sehen gerade in der vorgeschlagenen Gesamtkonzeption beim Parkhaus keinen Grund für Aufregung“, sagt der Mann vom Bauamt. „Unsere Zielsetzung, bei der Pflanzenauswahl auf den jeweiligen Pflanzort und die Veränderungen im Stadtklima einzugehen oder auch Pflanzenarten, gerade wenn es um Objektanlagen und nicht um die Gestaltung von Landschaftsräumen geht, gestalterisch einzusetzen, halten wir für ausgewogen.“

Das sahen Bürger zunächst völlig anders. „Voll Entsetzen haben wir gerade festgestellt, dass rund um das neue Parkhaus-Süd künftig die Besucher unserer Stadt und auch der Landesgartenschau 2028 mit einer Begrünung aus Kirschlorbeersträuchern begrüßt werden sollen“, schreiben uns Eberhard und Marianne Wucher. „Wir sind entsetzt“, ergänzen die beiden, weil „der Kirschlorbeer in vielen Gärten und öffentlichen Grünanlagen als Hecke oder Sichtschutz steht. Doch die immergrüne Pflanze gilt als potenziell invasiv und ist ökologisch alles andere als wertvoll.“ Und: „Wir sind der Meinung, dass die örtliche Presse dieses Thema aufgreifen soll. Damit kann erreicht werden, dass in unserer Stadt, auch im Hinblick auf die Landesgartenschau, eine heimische Bepflanzung Vorrang hat. Auch, um für den Artenschutz einen wichtigen Beitrag zu leisten.“

Ihre Argumente entlehnen die Wuchers einem Beitrag des BUND, des Bunds für Umwelt und Naturschutz, der schreibt, Zitat:

  • Der Kirschlorbeer ist sehr konkurrenzstark. Da er giftig ist, scheuen viele Tiere davor, ihn zu fressen, sodass er sich immer weiter ausbreiten kann. Besonders im Wald ist das ein Problem. Häufig wird der Kirschlorbeer-Grünschnitt dort entsorgt und kann sich ungehindert ausbreiten und heimische Sträucher und Krautpflanzen verdrängen.
  • Der Kirschlorbeer gibt nur wenigen einheimischen Tieren Nahrung oder Lebensraum. Die Blüten bieten wenig Nektar und Pollen für Wildbienen oder Schmetterlinge. Seine Blätter sind für Raupen oft giftig oder ungenießbar. So leistet der Kirschlorbeer keinen Beitrag gegen das Insektensterben.
  • Alle Pflanzenteile des Kirschlorbeers enthalten giftige cyanogene Glykoside (Blausäure). Besonders die Beeren können für Kinder und Haustiere gefährlich sein. Auch bei der Gartenarbeit ist Vorsicht geboten, da das Schneiden reizende Stoffe freisetzen kann.
  • Der Kirschlorbeer verrottet sehr schlecht. Wegen der Blausäure ist das Schnittgut nicht für den Kompost zu empfehlen. Der Kirschlorbeer-Schnitt sollte deswegen in kommunalen Wertstoffhöfen entsorgt werden.
  • Leider haben fast alle Gartenmärkte den Kirschlorbeer noch im Sortiment, ohne auf die Risiken hinzuweisen. Dabei gibt es heimische und ökologisch wertvolle Alternativen zum Kirschlorbeer.


Für den Rottweiler Fachbereichsleiter Mager und für den von ihm zitierten Forscher Tegethoff gilt das alles nicht als ausgemachte Sache. Immerhin verwende die Stadt die niedrigwachsende Sorte „Otto Luyken„, einen trockenheitsresistenten Kirschlorbeer. Mager schreibt: „Anders als die bei Sichtschutzhecken verwendeten hochwachsenden Sorten muss diese nicht geschnitten werden und es gibt somit die jährlichen Blütenansätze.“ Auch weitere Punkte, die in Privatgärten teilweise Anlass zur Sorge geben, etwa die Kombination von wenigen immergrünen Arten in flächigen Schottergärten, hochwachsende immergrüne Sichtschutzwände, die unerlaubte Entsorgung von schwer verrottbarem Laub im Wald, „treffen hier nicht zu“, sagt der Mann von der Stadt. Er regt zudem an, im Stadtraum künftig noch stärker auf die Veränderungen im Stadtklima achten zu wollen. „Dies haben wir 2021 bei der Auswahl der Bäume in der Hochbrücktorstraße bereits thematisiert.

Aber Mager will da offenbar nicht mit dem Kopf durch die Wand. Und erklärt als Reaktion auf das „Entsetzen“ der Bürger und die folgende Auseinandersetzung: „Bisher haben wir Kirschlorbeer nur sehr sparsam in besonderen Situationen verwendet. Um solche Diskussionen zu vermeiden, werden wir künftig auf die Pflanzung von Kirschlorbeer ganz verzichten.“




Peter Arnegger (gg)

… ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.

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